1871 – Schlicht wird Schlossbenefiziat in Steinach

Eng verbunden mit dem Steinacher Schloss ist das heute noch bestehende Schlossbenefizium, das auf eine uralte adelige Stiftung zurückgeht. Im Jahre 1336 hat das Rittergeschlecht der Warter von der Wart durch Kauf den Steinacher Edelsitz übernommen. Noch im selben Jahr errichtete Ritter Ekolf von der Wart am Turm der Pfarrkirche St. Michael die Begräbnisstätte der steinacherischen Warter und erbaute darüber die Kapelle St. Maria, in der er mit einem Zinskapital von 3 600 Regensburger Pfennigen eine „Ewige Messe“ für das Seelenheil seines Geschlechts stiftete. Durch Zustiftungen wurde das Benefizium auf bessere finanzielle Beine gestellt, sodass ein Schlossbenefiziat sein Auskommen hatte. Das Steinacher Schlossbenefizium ist ein sog. Inkuratbenefizium, d.h. ein Benefizium ohne Kura. Daneben bestand die Burgkapelle St. Georg, die nach ihrem Abbruch im 16. Jahrhundert durch die heutige Schlosskapelle ersetzt wurde. Der Schlossbenefiziat hatte – nach Schlichts späteren Forschungen – folgende Aufgaben zu erfüllen:

  1. An der Begräbnis- und Benefiziumskapelle St. Maria in der Woche die zwei Stiftmessen für die verstorbenen Warter lesen.
  2. An der Burgkapelle St. Georg ebenfalls in der Woche zwei Messen lesen.
  3. Darüber hinaus die Messen an jedem Feiertag in der Burgkapelle zu zelebrieren, wenn die Schlossherren nicht zur Pfarrkirche gehen können oder wollen.
  4. In den vier Quatemberzeiten eine Brotspende an die Armen der Hofmark geben.


Die Steinacher Schlosskapelle St. Georg – Wirkungsstätte des Schlossbenefiziaten
(Foto Hans Agsteiner)


Dem Benefiziaten wurde ein eigenes Haus gekauft, „wohlgebaut und wohlgelegen“. Dazu bekam er noch 34 Tagwerk Feld und Wald. Das Patronatsrecht am Benefizium hatten natürlich die Stifter und ihre Nachfolger bzw. die Steinacher Schlossherrschaft und die Krone. Die Patronatsherren konnten den Benefiziaten vorschlagen. Nach und nach verlagerte sich das Benefizium von der Gruft- und Stiftungskapelle St. Maria an die Schlosskapelle St. Georg. Die Marienkapelle mit ihren Begräbnisstätten wird im Jahr 1798 als „gänzlich baufällig“ bezeichnet und schließlich abgebrochen.


Hier wirkt Josef Schlicht als Schlossbenefiziat 46 Jahre lang: Steinach im Jahre 1913
(Ansichtskarte aus der Sammlung Erwin Böhm, Straubing)


1871 erhält Josef Schlicht das Steinacher Schlossbenefizium und wird Schlossbenefiziat. In seiner Autobiographie von 1898, in der er von sich immer in der dritten Person redet, als schaue Schlicht sich selber zu, berichtet er über die damaligen Vorgänge:

„Nach jenem Jahre stellte sich merkwürdigerweise auch bei ihm ein Fieber ein; allerdings nicht das Pfarrfieber; denn dieses durfte sich damals mit 20 Kaplanjahren erst einstellen, aber das Expositusfieber, und weil sich auch das mit 16 (Priester-) Jahren noch zu früh einstellte, so war es eigentlich nur ein Hausschlüsselfieber. Und den bot ihm, nachdem das Folium der Kuratpfründen noch zu allem und jedem den Kopf wiegte, das Benefizium von Steinach in reizendster Landlage in Niederbayern und aus königlichem Patronat“.

In Steinach erwartete Schlicht – so Rupert Sigl in „Josef Schlicht – Der rechte treue Baiernspiegel“, im Folgenden „Sigl/Baiernspiegel“ genannt – eine Sinekure (Anm. = eine einfache Arbeit) für sein Werk, das viel freie Zeit als Preis verlangte, zumal er ein langsamer Schreiber war. Er brauchte eine lange Anlaufzeit, um „hoaß zu werden“; dann erst begann die Sprache mit ihm zu spielen und zu flirten, die Einfälle, die erst nur tröpfelten, fingen dann zu nieseln, zu rieseln, zu rinnen, zu gießen und niederzuprasseln an, um plötzlich wie blind herumzutasten nach einem bestimmten Ausdruck, den er ahnte, aber nicht fand. So musste er jedes Blatt immer wieder neu schreiben, bis er „abbellte“ wie ein Hund. Darum sind seine Seiten, die uns erhalten blieben, ohne jede Korrektur.

Nicht zu klären ist es nach Sigl, wie Schlicht auf Steinach verfiel. Sigl vermutet, dass sein Vorgänger Franz Xaver Leonhard über Georg Schießl die Fäden knüpfte. „Am 24. August 1871 um Steinach beworben“, notiert er in seinem Taschenbuch. Am 27. August setzte ihn der Steinacher Schlossbesitzer Eduard von Berchem in Kenntnis, „dass das Benefizium erledigt wird – im Fall Sie zu einer Besprechung kommen wollen“.

Am 13. Oktober meint Berchem, die Sache sei im Ministerium. „Man hat Sie meinem Wunsch gemäß primo loco vorgeschlagen. Der Referent meint, der Minister wird dabei bleiben. Wenn der also keinen Strich dazwischen macht, wären alle Chancen für Sie, und ich glaube, Sie können sich schon vorbereiten, im Erinnerungsfall recht bald zu kommen, da es meiner Frau beschwerlich ist, in die Pfarrkirche zu gehen“. Im Vertrauen verriet er Schlicht, dass er allgemein getadelt werde, weil er einen so jungen Herrn wünschte. Am 15. November wurde Schlicht als Schlossbenefiziat in sein Amt eingeführt.

Eduard von Berchem-Königsfeld, dessen Mutter eine Gräfin von Königsfeld war, hatte 1839 das Schloss Steinach gekauft und 1860 den Adelstitel „von Berchem-Königsfeld“ verliehen bekommen. Auch seine Frau Natalie, eine geborene Gräfin von Deym zu Arnstorf, rechtfertigte diesen neuen Titel, war doch ihre Mutter Josefine eine Gräfin von Königsfeld. Der neue Schlossherr machte den beiden Berchem-Linien, der gräflichen wie der freiherrlichen, mit ihren 21 Schlössern und 45 Gütern alle Ehre.

Er konnte das Schlossgut Steinach auf 1 450 Tagwerk vergrößern.

Schlicht wohnte im Benefiziatenhaus, in der Nähe der Pfarrkirche, las am Morgen in der Schlosskapelle die Messe um halb acht Uhr und im Sommer sogar um halb sieben. Zum Widdum gehörten zu Schlichts Zeiten 45 Tagwerk, davon allein 34 Tagwerk Holz, das wenig abwarf. Die Warterische Inkuratspfründe, wie sie richtig hieß, war eine „Arbeitspfründe bescheidensten Anspruchs“, sagt er selbst, der 42. Schlosskaplan.


Das mustergültig restaurierte Benefiziatenhaus des Steinacher Schlossbenefiziums – heute Privatbesitz
(Foto Hans Agsteiner)


Zum ersten Mal musste er sich einen eigenen Haushalt einrichten und obendrein die Dächer auf Haus und Stadel sowie den Zaun erneuern lassen und einen Brunnen graben.

Seitenweise notiert Schlicht alle Anschaffungen und Preise. Sein Schreibtisch allein schon verschlang 40 fl. und ein zweiter 19 fl. Die Aufzählung der Fenster verrät, wie das Haus bewohnt wurde:

„3 im unteren Wohnzimmer, detto im oberen, 1 in der Speise, 1 in der Küche, 2 im Fremdenzimmer, 1 in Köchinzimmer, 2 im Schlafzimmer“.

Im Obergeschoss brauchte er acht neue Fensterstöcke. Küche und Flur wurden gefliest, die Dachrinnen erneuert.

Seine Wohnung stattete Schlicht sehr einfach, aber geschmackvoll aus, berichten die Freunde und Besucher. Unvorstellbar einfach für unsere Begriffe: ein Rohrsessel, vier Bettstellen, eine Uhr, zwei Spucknäpfe, sechs Sesseln, vier Tische und eine Kommode und was sonst nötig ist, Waschtisch, Schirmständer, Vorhangstangen. Die 231 Gulden vom ersten Jahre reichten keineswegs. Er musste seine Ersparnisse aus seiner Kaplanszeit dazulegen.

Entscheidend war für ihn jetzt, seine Freiheit voll auszunutzen. Nach der Messe nahm er das Frühstück zu sich, das aus einer „saueren Suppe“ mit Bratkartoffeln bestand, genau wie daheim in Geroldshausen. Die „Hirgstmilch“ wurde für den Winter in einen Zuber geschüttet und aufbewahrt und dann mit Mehl und Wasser aufgekocht. Nie in seinem Leben, berichten uns seine Freunde Ludwig Niggl, Dr. Höpfl und Eduard Stemplinger, habe er Kaffee oder Tee angerührt, noch habe er geraucht, ebenso verschmähte er Wein. Nur das „hupfad Wasser“, wie er den Sekt nannte, schätzte er über alles.

 

Schlichts Tagesablauf

Zuerst zelebrierte er, wie oben dargestellt, den Gottesdienst in der Schlosskapelle. Nach dem Frühstück ging es ans Studium bis 11 Uhr. Danach nahm er ein einfaches Mittagessen ein, das ihm immer ausgezeichnet schmeckte. Nachmittags machte er bei jedem Wetter einen ausgiebigen Spaziergang, wobei ihn stets seine zwei kleinen Hunde, Schnackerl und Dantscher, einer hässlicher wie der andere, begleiteten. Er liebte weite Märsche, besonders nach Saulburg und Falkenfels. Hier traf er meist Gesellschaft. Nach einem gemütlichen Spiel und gestärkt durch einige Gläser Bier, trat er den Heimweg an. Nachmittags aß er zu seinem Bier etwas Brot mit Schinken, ein Abendessen nahm er nie ein.

In seinem 55 Dezimal großen Garten stand eine mächtige Haselnussstaude, auf der er sich eigenhändig Tisch und Bank zimmerte, um in luftiger Höhe dem Gesang der Vögel lauschen zu können. „Ohne Vöglein wär’s tot auf der Erde“. Hier in diesem Nest brütete er über seinen Einfällen, studierte und schrieb er, lebte ganz für sich.

Nur wenige Eingeweihte wussten von seiner wandlosen Studierstube in luftiger Höhe. Auch Niggl, sein Duzfreund, bekennt, dort oben habe er mit ihm so manche Stunde philosophiert. Da der „Beni“ (= Benefiziat) Blumen liebte, vor allem wildwachsende war der Blumenschmuck in der Wohnung für ihn das Schönste. Höchstpersönlich erbettelte er sich den Taubendünger für die roten Geranien an sämtlichen Fenstern. Niggl, der erst 1904 als Gutsverwalter nach Steinach kam und daher seinen ersten „Hausbesen“ nicht kannte, rühmt, dass sein dienstbarer Geist das Haus trefflich versah und vorbildlich imstande hielt.

Bei der ersten Wahl seiner Köchin hatte er nämlich eine Niete gezogen. „Mehr einem sündflutlichen Drachen als einer holden Küchenfee“ gleich, machte sie ihm das Leben zur Hölle, berichtet Höpfl. Als sie endlich starb und man ihn fragte, warum er sie bei solchen Verhältnissen nicht schon längst abgedankt habe, meinte er trocken: „Ich habe geglaubt, es ist eine wie die andere“. Schlicht muss also auch mit den früheren Pfarrerköchinnen nicht sehr erfreuliche Erfahrungen gemacht haben. „Menschen, die am Morgen vor lauter Liab unsan Hergott vom Kreuz reißen möchten und am Nachmittag sich schlecht benehmen, die mag i net“, urteilte Schlicht über Betschwestern und Pharisäer. Dagegen liebte er besonders Menschen mit freiem Blick. Sein Urteil über die Mitmenschen offenbart uns auch seine Ansicht über seine Hündchen. “Schön san s’ net, aber treu. Und das ist die Hauptsache“. Als er einmal von Niggl gefragt wurde, warum er sich keinen Rassehund halte, erwiderte er: „Beim Hund ist es wie bei den Menschen. Das schöne G’schau macht’s nicht aus, sondern der Charakter“.

Schlicht störten vor allem die inoffiziellen gesellschaftlichen Verpflichtungen im Schloss, weil man in ihm nur den Salonlöwen und Unterhalter sehen wollte, vor allem dann, wenn die Schlossherrschaft Empfänge gab. Das ging ihm gegen den Strich. Er versteifte sich auf seine Amtspflichten, zu denen solche Dinge nicht gehörten. Ebenso setzte aber auch der Baron von Berchem seinen Kopf durch. So wurden die täglichen Messen zum Streitobjekt.